Montag, 8. Juli 2013

Lügen und andere Lebensläufe

Ein Teilnehmer teilte unserer Gruppenleiterin selbstsicher mit, dass alle Anwesenden Profis im Lebenslauf schreiben wären. Obwohl die bittere Wahrheit mir auf der Zunge brannte, schluckte ich sie hinunter, anstatt sie lauthals auszuspeien. Für so viel Aufsehen war sie nicht würdig genug, oder ich war (noch) zu sehr Debütantin im Selbstbelügen. Fateo: ich bin kein Profi in Eigenwerbung, dafür stinkt mir Eigenlob zu sehr! Lebensläufe sind reines Selbst-Marketing, garniert mit hochprozentigen Übertreibungen und zarten Lügen.
Selbst die vereinzelten Tatsachen, die unverrückbar scheinen, schaden mir mit einem hönischen Grinsen der Veritas. Am Anfang steht die Geburt und mit ihr der Auftakt der Vorurteile: Denn nicht in Österreich geboren zu sein, wirkt nachhaltig wie ein Strafbestand. Wäre mein Geburtsort ein schicker Mode-Staat, käme ich noch glimpflich davon. Doch mich selbst schriftlich mit Terroristen und anderen vorgefassten Stereotypen in Assoziation bringen zu müssen verunsichert mich. Versuche ich mich damit zu verteidigen, dass ich bereits als Baby emigriert wurde, brennt man mir ein Migranten-Tatoo ein.
Der nächste Stolperstein, der mich zu erschlagen droht, ist mein Alter: Im besten Falle unterstellt man mir Gebärfreudigkeit und zwinkert mir beim Vorstellungsgespräch freundlich zu, dass ich ja sicher bald Kinder möchte. Unter den Tisch fällt der unausgesprochene Satz "Karenz kann sich unsere Firma nicht leisten" und wird zu meinem persönlichen Salto mortale. Aber zu meist bin ich ohnehin "zu alt", denn die gewünschte eierlegende Wollmilchsau ist 25 mit 10 Jahren Berufserfahrung.
Um der Wahrheit gerecht zu werden, müsste ich bei Geburtsort: "Kosmopolitan" schreiben dürfen. Und beim Geburtsdatum: 01.01. 2013; denn ich erfinde mich immer wieder neu, enwickel mich stetig weiter und habe so viel Energie und Wissensdrang wie ein gesunder Welpe.
Doch die erste Spalte bleibt den vertrockeneten Fakten verhaftet, im Ausgleich darf im Folgendem so viel geflunkert werden, wie Papier und Bildschirm erträgt. Da wird gebogen und gebrochen, verdreht und stilisiert, ausgeschmückt und umgedichtet bis einem die eigene Mutter nicht mehr wieder erkennen würde.
Um nur ein Beispiel von vielen anzuschneiden: Jede/r AMS- Berater/In rät, bei Fähigkeiten möglichst viele Sprachen anzuführen. In disputio: Perfektes Englisch + Französisch, Russisch in Wort und Schrift, usw. So kommt es, dass man den LB eines guten alten Freundes liest, und aufgrund seiner unglaublichen Talente ehrfurchtsvoll zu Boden sinken möchte. Beim 2. Bier erfährt man dann, dass es sich um lapidare Grundkentnisse aus der Schulzeit handelt, die ein wenig verbal aufgemotzt worden sind und die Job-Suche zur Mythomanie geführt hat. Folge ich diesem Usus, müsste ich sofort mit "Ausgezeichnete Englisch-, Französisch-, und Italienischkentnisse zu Felde ziehen. Nicht zu vergessen sind, in diesem Sinne, auch meine Türkei-Urlaube: Immerhin kann ich "Ich liebe dich" und "Wieviel kostet das" - mehr als mein alter Freund auf russisch!
Kaum auf Papier verewigt, sticht mich die Pathetik meiner Worte in meine Brust. Wieso darf ich nicht die Wahrheit schreiben? Sprachkentnisse: Multi-langual. Bis jetzt konnte ich mit jedem Lebewesen auf jedem Kontinent und in jeder Situation erfolgreich kommunizieren. Auch wenn das geheißen hat, dass ich mit vollem Körpereinsatz und Empathie sprechen musste - so war das doch immer noch ehrlicher als diese Lebenslauf-Finte!
  

1 Kommentar:

  1. Hallo Susan!

    Schön, dass du den Mut hast diese Misstände beim AMS aufzuzeigen. Danke dafür. Gerne würde mich interessieren wie es dir heute geht da der Post doch schon im Juli geschrieben wurde. Würde mich freuen wenn du mich auf http://markussuchtdensuperjob.blogspot.co.at besuchen kommst und mir rückmeldung geben könntest. Danke und alles gute

    Markus

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